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    Touché Amoré
    Stage Four

    VÖ: 16.09.2016 | Label: Epitaph
    Text:
    Platte des Monats
    Touché Amoré - Stage Four

    Als Jeremy Bolm gerade anfängt zu hoffen, nimmt der Krebs dem Sänger 2014 die Mutter. „Stage Four“ handelt von nichts als dem schmerzhaften Verlust – und klingt hoffnungsvoller als jedes Touché-Amoré-Album zuvor.

    „I haven’t found the courage/ to listen to your/ last message to me“ singt Bolm in „New Halloween“, einem Song, in dem auch ein Jahr nach dem Tod der Mutter Vermissen und Schuldgefühle noch das Denken bestimmen. Auf dieser Platte hat die Seele noch keine schützende Kruste: Schonungslos gegen sich verhandelt Bolm hier das Davor, Mittendrin und Danach des Todes eines geliebten Menschen. Die Hoffnungen auf einen optimistischen Ausblick zerschlagen sich schon mit dem Titel: „Stage Four“, das heißt: Metastasen, Endstadium – eine Stage Five gibt es bei Krebspatienten nicht mehr. Touché Amorés vierte Album-Bühne ist also gleichzeitig die letzte große für Bolms Mutter. Nach „The Lack Long After“ (2011) von Pianos Become The Teeth hat der Posthardcore, nach „Carrie & Lowell“ (2015) von Sufjan Stevens hat die Musikwelt damit ihre nächste große Erzählung vom Tod der Elterngeneration. Bolm brüllt sich im Verlauf der elf Songs der Platte alles vom Leib, was damit einhergeht: Im Opener „Flowers And You“ ist es die Unfähigkeit, das Sterben auszuhalten und die verbleibende gemeinsame Zeit zu nutzen; in „Displacement“ das Gefühl, an einen Gott glauben zu wollen und nicht zu können: „You died at 69/ With a body full of cancer/ I asked your god: ‚How could you?‘/ But I never heard an answer.“ Während der Sänger mit seinem Gefühlschaos kämpft, 40 Jahre Überbleibsel eines Lebens sortiert und in jenen Moment zurückkehrt, an dem ihn die erwartete Todesnachricht doch wie ein Schock traf, sind die Instrumente schon weiter: Mehr noch als auf „Is Survived By“ drängen sich melodische, luftige Indierock-Gitarren wie ein Schulterklopfen nach vorn, bevor der schmerzhafte Hardcore-Orkan wieder losbricht. Selbst in dem erhalten sie sich oft noch einen triumphalen Ton und eine Offenheit, die man so eher vom Postrock kennt – oder eben von anderen in Richtung Indie weitergezogenen Posthardcore-Alben wie Pianos Become The Teeths „Keep You“ und La Disputes „Rooms Of The House“. Zudem fallen die Songs erneut länger und strukturierter aus, die Band scheut Refrains und Wiederholungen weniger. Musikalisch so gestützt klingt Bolm zwar trauernd, aber dennoch selbstbewusst – und wagt sich vor: Die Strophen von „Benediction“ singt er clean mit einer verletzlichen Indie-Beerdigungsstimme wie der von Matt Berninger (The National). Noch eindrucksvoller streift die Band nur in „Water Damage“ den Schutzpanzer ab: Ein Rimshot-Beat, dazu glasige Wave-Gitarren, Tom-Drumming und Bolm als Crooner – für Touché Amoré eine kleine Revolution, wenn auch nur bis zur nächsten Hardcore-Welle. Schließlich schenkt der Sohn der Mutter zu verwaschenen Indie-Gitarren lyrisch die „Skyscraper“ der von ihr geliebten Stadt New York, seine Stimme und die von Singer/Songwriter-Wunder Julien Baker verschmelzen in Harmonie, im finalen Postrock-Sturm verblasst sein Schreien einfach. Dass Bolm dann noch die gefürchtete letzte Sprachnachricht seiner Mutter eingefügt hat, ist ein Statement: Man kommt darüber hinweg. Auf Touché Amoré wartet eine Stage Five.

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